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Title
Zur Herrschaft erzogen. Die Ausbildung und Erziehung der römischen Kronprinzen des ersten bis fünften Jahrhunderts n. Chr.


Author(s)
Huber, Christian
Series
Münchner Studien zur Alten Welt
Published
München 2022: utzverlag
Extent
374 S.
Price
€ 69,00
Reviewed for H-Soz-Kult by
Christoph London, Historisches Institut, Lehrstuhl für Alte Geschichte mit dem Schwerpunkt Geschichte als Wissenskultur, RWTH Aachen

Aspekte der Kindheit, Bildung und Erziehung im griechisch-römischen Kulturraum erfreuen sich seit längerer Zeit großer Beliebtheit in der althistorischen Forschung.1 Dabei wurden einige Aussagen langer Zeit als „Standardwerke“ geltender Publikationen auf den Prüfstand gestellt.2 Ein wiederkehrendes Interesse erfährt dabei der römische Kaiserhof als Ort der Erziehung und Bildung und die Frage nach der (Aus-)Bildung der Principes, die monographisch allerdings nur vereinzelt behandelt wurde, steht den vielversprechenden Ansätzen doch oftmals eine ernüchternde und lückenhafte Quellenüberlieferung gegenüber.3 Umso erfreulicher ist es, dass sich Christian Huber in seiner 2022 veröffentlichten Dissertationsschrift dem Thema der kaiserlichen Erziehung aus einer diachronen Perspektive nähert, die einen chronologischen Bogen von den Anfängen des augusteischen Prinzipats bis zum Ende der Valentinianisch-Theodosianischen Dynastie spannt.

Huber begründet sein leitendes Forschungsinteresse in einer knappen Einleitung (S. 7–17) mit dem „Aufbruch in eine neue staatliche Ordnung“ (S. 7), den er mit Augustus' „Staatsakten“ verbindet, und leitet auf Basis der „quasi-monarchischen“ Stellung des römischen Princeps eine besondere Bedeutung der Auswahl und Designation präsumtiver Nachfolger ab. Hieran schließen sich Fragen nach der Qualifikation möglicher Nachfolger und der Existenz einer spezifischen Ausbildung und Erziehung an, die sich von den zuvor praktizierten Sitten der senatorischen Elite unterschied. Dazu Huber: „Nicht mehr ein Funktionieren innerhalb, sondern oberhalb der Elite war das neue Primat des Lehrplans, der entsprechende Anpassung erfahren musste“ (S. 7). Der zugrundeliegende Gedanke ist dabei durchaus opportun, auch wenn die Verwendung des modernen Lehrplanbegriffs eine für die Antike in dieser Form nicht gekannte Organisation und Standardisierung erzieherischer Maßnahmen impliziert und daher hinterfragt werden sollte. Als ‚Kronzeuge‘ für die These der Existenz eines solchen spezifischen Erziehungskonzepts für künftige Herrscher fungiert bei Huber der spätantike Rhetor Themistios, der in einer seiner orationes die von einem Augustus zu erwartenden Fähigkeiten von denen eines privatus abgegrenzt hatte.4

Huber formuliert – unabhängig von einer (ausbleibenden) Diskussion des Umstands, ob man eine solch isolierte und voraussetzungsreiche Textstelle auf eine mehr als 400 Jahre zurückliegende Situation rückprojizieren kann – aufgrund dieser Überlegungen vier Leitfragen, die sich auf die „Inhalte der von Themistios postulierte[n] Prinzenerziehung“, die Organisation kaiserlicher Erziehung im frühen Prinzipat, die „Kontinuitäten in der Ausbildung römischer Kronprinzen“ und den Fortbestand republikanischer Erziehungselemente konzentrieren. Der bereits titelgebende Terminus des „Kronprinzen“, der in der bisherigen Forschung nur recht sporadisch und eher unscharf verwendet wurde, wird dabei nicht weiter erläutert oder problematisiert.5 Der Autor grenzt indes den von ihm in den Blick zu nehmenden Personenkreis der „Kronprinzen“ ein, indem er „nur jene Prinzen als mögliche Kandidaten für eine derartige ‚kaiserliche‘ Ausbildung“ betrachtet, „die bereits während ihrer Kindheit und Jugend mit realistischer Aussicht auf einen Platz in der Thronfolge vorbereitet“ worden seien, weshalb beispielsweise die späteren Kaiser Claudius und Elagabal ausgeschlossen werden (S. 12). Man mag einerseits trefflich darüber streiten, ob das römische Kaisertum als nicht ausschließlich dynastische Monarchie über eine „Thronfolge“ verfügte, andererseits zeigt gerade Claudius' Beispiel, dass die komplexen Nachfolgearrangements im frühen Prinzipat alles andere als langfristig planbar waren, weshalb die Erziehung aller männlichen Angehörigen des Kaiserhauses – sofern in den Quellen dokumentiert – Aufmerksamkeit verdient. Ebenso wird die Ansprache bereits mit dem Augustus-Titel ausgestatteter Prätendenten wie Commodus, Caracalla und Gratian als „Kronprinzen“ nicht begründet.

Der Hauptteil beginnt mit einem Überblickskapitel zur „Römische[n] Erziehung der späten Republik“ (S. 18–40), in dem Huber anhand einschlägiger Quellenzeugnisse und neuerer Forschungserkenntnisse die republikanische Erziehung im Spannungsfeld zwischen der Dominanz des pater familias und der Entwicklung griechisch inspirierter, außerhäuslicher Unterrichtskonzeptionen untersucht. Die ausführliche Betrachtung der Rolle des jungen Octavian im politischen System seines Großonkels Caesar leitet sodann in die ausführliche Diskussion der „julisch-claudischen Prinzen“ (S. 41–103) über. Dabei beklagt Huber zurecht die unbefriedigende Quellensituation für den frühen Prinzipat, weshalb er sich überwiegend an den Zeugnissen zur Designation und öffentlichen Bekanntmachung potenzieller Nachfolger orientiert. Der von Huber konstatierten, weitgehenden Orientierung an spätrepublikanischen Praktiken mag man dabei ebenso folgen wie der These zunehmender Exklusivität der Erziehung, die in die Hände ausgewählter Lehrer gelegt wurde. Ob der Prinzipat zu Augustus' Tod bereits als „konstitutionell“ abgesichert (S. 41) gelten kann, bleibt hingegen fraglich.

In den folgenden Kapiteln verlässt Huber den bislang beschrittenen streng chronologischen Pfad und fokussiert stattdessen einzelne Inhalte der kaiserlichen paideia: Neben der rhetorisch-literarischen Erziehung (S. 104–158) stehen ein „erweiterte[r] Fächerkanon“ aus Musik, „Naturwissenschaften“ und „bildenden Künsten“ (S. 159–181) sowie die Beschäftigung mit der Philosophie (S. 182–211) im Vordergrund. Dies ist angesichts der nur vereinzelt vorliegenden Quellen und des für weite Teile des 2. und 3. Jahrhunderts limitierten Personenkreises zu begrüßen, eignet sich dieser – wie Huber zurecht urteilt – lediglich für „Stichproben“ (S. 112). Den drei Kapiteln gemein ist der durchgängig quellennahe Zugang, der die vereinzelten Nachrichten sammelt und miteinander vergleichbar macht. Ein Nachteil dieser Vorgehensweise ergibt sich jedoch aus der nicht immer detaillierten Kontextualisierung und kritischen Würdigung der einzelnen Sachverhalte. Während sich Huber in der Nachfolge Rösgers vor allem mit den Stellen aus der Historia Augusta auseinandersetzt, bleibt es offen, woher er die Informationen über das Ausbildungsprogramm des Ausonius für den jungen Gratian bezieht und ob sich Themistios wirklich als „letzte[r] große[r] Prinzenerzieher im Stil eines Aristoteles“ (S. 123) verstehen lässt. Huber unterzieht das von Marrou geprägte Konzept eines dreigliedrigen Unterrichtsschemas einer überzeugenden kritischen Betrachtung, gleiches wäre auch für die Annahme eines – wie auch immer gearteten – „Privatlebens“, in dessen Sphäre die Erziehung bisweilen gestellt wird, wünschenswert gewesen.

Einen wichtigen Stellenwert für die Argumentation nimmt das folgende Kapitel über die „militärische Erziehung“ (S. 212–259) ein. Dabei arbeitet Huber die These der militärischen Bewährung als Eignungskriterium für den kaiserlichen Nachwuchs heraus, das sich aus der Tradition senatorischer Kommandos in der Republik und dem frühen Prinzipat entwickelt und spätestens in der Zeit der „Soldatenkaiser“ und der Konstantinischen Dynastie eine zunehmende Professionalisierung erreicht habe. Hubers Schlussfolgerung von der „Entmilitarisierung der Kaiser“ am Ende des 4. Jahrhunderts vermag vor dem Hintergrund der zitierten Quellenzeugnisse Claudians für Honorius, der Erwähnung von Waffen- und Reitübungen in der späteren Theodosianischen Dynastie und Felix Maiers wichtiger Überlegungen zum „Imperator-Dilemma“ jedoch nicht recht zu überzeugen.6 Der thematische Überblick über die wichtigsten Handlungsfelder der Kaiser und deren Bedeutung für die Erziehung wird mit zwei kürzeren Kapiteln zur Einbindung in das „politische Tagesgeschäft“ und zur Jurisprudenz (S. 260–280) sowie zu kultischen und religiösen Funktionen (S. 290–314) abgerundet.

In seiner übersichtlichen „Schlussbemerkung“ (S. 315–323) gelangt Huber zu einer Zusammenschau der vielfältig von ihm behandelten Aspekte und zeichnet dabei ein eher statisch ausfallendes „Bild kaiserlicher Erziehung, das sich in wesentlichen Bereichen inhaltlich kaum von jener der senatorischen Eliten unterschied und analog zur Ausbildung junger Mitglieder der Oberschicht starke Kontinuitäten bis in die republikanische Zeit aufwies“, sich aber durch seinen „Kontext“ und die „zukünftigen Aufgaben“ von dieser graduell abhob (S. 322). Das Fazit lässt die zentralen Stärken und Schwächen der Arbeit erneut offen zu Tage treten: So ist der ambitionierte diachrone und durchweg quellennahe Zugriff auf das römische Kaisertum von seinen Anfängen bis hin zu seiner entscheidenden Transformation im 5. Jahrhundert positiv hervorzuheben, es mangelt aber zuweilen an einer kritischen Kontextualisierung der zahlreichen Quellenstellen und einem systematischen Ansatz, der Änderungen und Modifikationen erklärbar macht und auf zu Grunde liegende Bildungsverständnisse hinterfragt. An einigen Stellen erschweren namentliche Verwechslungen und vermeidbare Rechtschreibfehler (z.B. „Marco“ statt Macro, S. 77; „Iambilchus“ statt Iamblichus, S. 206; „Gallus“ statt Gallienus, S. 240) sowie die eigenwillige Formatierung des Fußnotenapparats das Verständnis. Ein solider Grundstein für eine weitere Diskussion der mit dem Kaisertum verbundenen Bildungs- und Erziehungsaspekte ist mit Christian Hubers Arbeit aber allemal gelegt!

Anmerkungen:
1 Vgl. Peter Scholz, Den Vätern folgen. Sozialisation und Erziehung der republikanischen Senatsaristokratie (= Studien zur Alten Geschichte Bd. 13), Berlin 2011; Christian Laes (Hrsg.), Children in the Roman Empire. Outsiders within, Cambridge 2011; Christian Laes/Ville Vuolanto (Hrsg.), Children and Roman Life in the Roman and Late Antique World, London/New York 2017; Peter Gemeinhardt (Hrsg.), Was ist Bildung in der Vormoderne? (= SERAPHIM Bd. 4), Tübingen 2020; Jan R. Stenger, Education in Late Antiquity. Challenges, Dynamism and Reinterpretation, 300–550 CE, Oxford 2022.
2 Vgl. Henri-Irénée Marrou, Geschichte der Erziehung im klassischen Altertum, Freiburg i. Br. 1957; Stanley F. Bonner, Education in Ancient Rome. From the elder Cato to the younger Pliny, London 1977; Teresa Morgan, Literate Education in the Hellenistic and Roman Worlds (= Cambridge Classical Studies), London 1998.
3 Vgl. Alfons Rösger, Herrschererziehung in der Historia Augusta (= Habelts Dissertationsdrucke Alte Geschichte Bd. 12), Bonn 1978; Heinrich Schlange-Schöningen, Kaisertum und Bildungswesen in Konstantinopel (= Historia-Einzelschriften Bd. 94), Stuttgart 1995; Alexander Demandt, Das Privatleben der römischen Kaiser, München 2011, S. 195–218; Monika Staesche, Das Privatleben der römischen Kaiser der Spätantike. Studien zur Personen- und Kulturgeschichte der späten Kaiserzeit (= Europäische Hochschulschriften III Bd. 784), Bern 1998, S. 236–265.
4 Themist. or. 9,8 (126b).
5 In Bezug auf die Ausbildung junger Herrscher findet der Begriff vor allem bei Alfons Rösger Verwendung, der in der Historia Augusta einen spezifischen „Kronprinzen-Typus“ in der Lebensbeschreibung junger Herrscher und Herrschaftsprätendenten erkannt hat; vgl. Rösger, Herrschererziehung (wie Anm. 3, S. 78). Ferner findet sich der Begriff in der Diskussion hellenistischer Konstellationen bei Christian Habicht, Kronprinzen in der Monarchie der Attaliden?, in: Victor Alonso Troncoso (Hrsg.), Diadochos tes basileias (= Gerión. Anejos Bd. 9), Madrid 2006, S. 119–126. Im römischen Kontext wurde der Begriff bislang auf Marc Aurel und Germanicus bezogen; vgl. Hans Armin Gärtner, Ein Kronprinz und sein Lehrer, in: Peter Neukam (Hrsg.), Struktur und Gehalt (= Dialog. Klassische Sprachen und Literaturen Bd. 17), München 1983, S. 25–49; Wolfgang Kuhoff, Der Tod des Kronprinzen. Germanicus, sein Mörder und das Gerichtsverfahren vor dem Senat 19/20 n. Chr., in: AA 50/6 (2019), S. 68–75. In anderen Sprachen lässt sich der Begriff in dieser Form nicht in der Forschung finden. Auch Huber benutzt ihn mitunter inkonsistent, so verwendet er „Prinzen“ auf S. 53 in Anführungszeichen, ansonsten fehlt eine entsprechende Kennzeichnung.
6 Vgl. Felix K. Maier, Palastrevolution. Der Weg zum hauptstädtischen Kaisertum im Römischen Reich des vierten Jahrhunderts (= Antike Imperien Bd. 1), Paderborn 2019.

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